Urbane Agrarökologie
Die Transformation unseres Ernährungssystems in Zürich und nachhaltige Stadtentwicklung
Agrarökologie wird aktuell vor allem mit landwirtschaftlicher Produktion und dem ländlichem Raum assoziiert. Doch Agrarökologie bietet auch einen wichtigen Ansatz für die anstehenden Herausforderungen im urbanen Raum, wobei die Ziele dieser “urbanen Agrarökologie”, die lebenswerte und multifunktionale Gestaltung der städtischen Grün- und Freiflächen ist. Urbane Agrarökologie bietet sowohl einen konzeptuellen Ansatz als auch eine konkrete Praxis für die Nachhaltigkeitstransformation der (peri-)urbanen Ernährungssysteme und für die nachhaltige Stadtentwicklung insgesamt.

Dimensionen der Urbanen Agrarökologie
Urbane Agrarökologie ist ein systematisch-integrativer Ansatz, der drei Dimensionen zusammenführt:
- Förderung der nachhaltigen Produktion von hochwertigen Lebensmitteln: Durch die regenerative Bewirtschaftung von Flächen sollen Nahrungsmittel unter minimalen Ressourceneinsatz und mit positiven Auswirkungen auf Boden und Umwelt hergestellt werden. Ziel muss sein, Leuchttürme klimapositiver Landwirtschaft zu erschaffen. Mit einer intensiven Flächenausnutzung und einer effizienten Nischennutzung sollen Flächen produktiv sein und gesunde Nahrung für die regionale Versorgung erwirtschaftet werden. Nachhaltige Produktion beinhaltet auch, dass die in der Produktion tätigen Menschen gute Arbeitsbedingungen haben und eine faire Entlohnung erhalten.
- Schaffung von (Agro-)Biodiversität: Ein Agrarökosystem soll kleinräumig, standortangepasst und im Einklang mit den Ansprüchen von Wildtieren und heimischer Flora gestaltet werden. Dies bedeutet unter Umständen auch, dass Zonen intensiverer Nutzung neben Renaturierungen und Habitatschaffung koexistieren oder ineinander übergreifen sollen. Agrarökosysteme sollen somit lebenserhaltend sein für alle – Menschen, Tiere und Pflanzen.
- Stärkung sozialer Teilhabe und Gemeinschaft: Urbane agrarökologische Nutzungskonzepte sollen integrativ sein und verschiedene Nutzungsebenen beinhalten. Sie sollen sowohl Raum zum Verweilen für alle als auch Räume produktiven Miteinanders oder Nebeneinanders bieten. Mit dem personellen und sozialen Ineinandergreifen von Produktion und Konsumtion sind sie Grundstein der Ernährungssouveränität, Ernährungsdemokratie und einer Transformation des gesamten Ernährungssystems.
Urbane Agrarökologie mit ihren drei Dimensionen liefert einen Ansatz, welcher die verschiedenen Aspekte multifunktionaler Nutzung von Flächen so zueinander in Beziehung setzt, dass sich diese gegenseitig stärken und Synergien schaffen. So kann eine begrünte Hauswand oder ein urbaner Waldgarten sowohl das urbane Klima verbessern, als auch einen Lebensraum für Wildtiere bieten und gleichzeitig Nahrungsmittel produzieren.
In diesem Sinne ist das Framework Urbane Agrarökologie nicht einfach eine weitere, neue Form der Freiraumnutzung oder der (peri-)urbanen Landwirtschaft, sondern bietet eine umfassende Perspektive, die insbesondere auch die Bedürfnisse der Bewohner*innen – sei es als Konsument*innen oder Erholungssuchende – integriert.
Zukunftsfähige Städte
Urbane Agrarökologie als systematischer Ansatz zur nachhaltigen Entwicklung urbaner Räume
Im (peri-)urbanen Kontext der Schweiz wird die bauliche Verdichtung kontinuierlich vorangetrieben, was zu einem hohen Druck auf das Grün in den Städten führt – Tendenz zunehmend – da dichtere Siedlungen für eine Reihe von Nachhaltigkeitszielen unabdingbar sind. Gleichzeitig müssen in den Stadträumen verschiedene Handlungsfelder angegangen werden, wie suffiziente Lebensstile, nachhaltige Ernährung, (Agro-)Biodiversität, Reduktion der Klimagase, Klima-Resilienz, Hitzeminderung/Beschattung, Wasserretention, Feinstaubreduktion aber auch physische und psychische Gesundheit, Partizipation, Integration und viele mehr.
Daher sind integrative und systemische Ansätze zentral. Sie ermöglichen es den Städten, besagte Herausforderungen synergetisch und ressourceneffizient anzugehen. Urbane Agrarökologie bietet genau solch einen Ansatz. Eine agrarökologische Perspektive auf urbane Räume – Grün- und Landwirtschaftsflächen genauso wie begrünbare versiegelte und bebaute Fläche, horizontal wie vertikal – leistet einen multiperspektivischenAnsatz, der die Funktionalität dieser Flächen in all seinen Dimensionen nachhaltig stärkt. Urbane Agrarökologie kann als Katalysator und Leitbild für die sozial-ökologische Transformation von Städten dienen.
Vision: Die ganze Stadt ein Garten
Entstehungsgeschichte in Zürich
Arbeitsgruppe Vielfalt & Genuss
Die Dimensionen der Urbanen Agrarökologie wurden im Rahmen der AG Vielfalt&Genuss entwickelt, die nach der ersten Saison von meh als gmües (2016/17) zusammenkam und überlegte, wie das Areal der Gärtnerei – immerhin 1,2 ha – zukünftig zu entwickeln sei. Die alte Zierpflanzengärtnerei, so hatte sich gezeigt, eignete sich nicht für den Anbau von Feingemüse. Der Boden war durch die Nutzung der Zierpflanzengärtnerei, die alle Flächen mit Beton und Plastik versiegelt hatten, verdichtet und biologisch tot. So entstand die Idee, den Garten in Zonen einzuteilen und entsprechend der jeweiligen Gegebenheiten zu entwickeln. Die zukünftige Gestaltung sollte hierbei die drei Dimensionen integrieren, die in Folge zur Grundlage der Urbanen Agrarökologie weiterentwickelt wurden: Die Produktion von Lebensmitteln, der Biodiversität und der Nutzung durch die Mitglieder der Genossenschaft.
Agrarökologie als Leitbild für die Entwicklungen von meh als gmües
Bevor mit der Corona-Pandemie 2020 der Lockdown kam, hat die Genossenschaft meh als gmües in einem breit angelegten, partizipativen Prozess einen Betriebsentwicklungsplan erarbeitet, der eine konsequente Ausrichtung des Betriebes entlang der agrarökologischen Prinzipien vorsieht. Zudem tummeln sich auf dem Gelände der Gärtnerei von meh als gmües immer mehr Agentinnen agrarökologischer Transformation, die gemeinsam das Gelände und Projekte entwickeln. So nutzen sowohl professionelle Wildstaudengärtner*innen, als auch Wildbienenexpert*innen, ein Imker und Gartenpädagoginnen das Gartenareal. Die neue Flächen (2,2 ha), welche meh als gmües seit 2021 angrenzend die Gärtnerei von Grünstadt Zürich pachten konnte, werden entpsrechend den drei Prinzipien der Urbanen Agrarökologie Nutzungskonzepte entwickelt.
Prototypen der Urbanen Agrarökologie bei meh als gmües
Auf den seit 2021 gepachteten Flächen soll exemplarisch aufgezeigt werden, wie Elemente der urbanen Agrarökologie kombiniert und realisiert werden können. Die Realisierung von Prototypen der Urbanen Agrarökologie auf diesen Flächen ist integraler Bestandteil der Betriebsentwicklung von meh als gmües. Die Genossenschaft meh als gmües unterstützt den Aufbau des Technikums Urbane Agrarökologie, damit die Entwicklung der Solidarischen Landwirtschaft nach agrarökologischen Prinzipien in beispielhafter Form gewährleistet wird und das innovative Potenzial der Projekte systematisch entwickelt wird.